Es wird wieder gewählt in Europa. Erfahrungsgemäß juckt das die Hälfte der Deutschen eher nicht, aber momentan sind Demokratie und so gerade sehr trendy, und weil die Plakate einem nun ständig vor der Nase hängen, kann man ja wenigstens mal drüber nachdenken, welche Wahl man denn so hat.
Gewohnt müde kommt die Kampagne der inhaltsscheuen SPD daher. Die CSU tut so, als würde ein „starkes Bayern“ irgendjemanden in Europa interessieren. Die FDP setzt ganz auf Krawalloma Strack-Zimmermann, die in einer Büttenrede mal was gegen Fritze Merz gesagt hat und seitdem als „mutig“ und „streitbar“ gelten soll. Bei den Plakaten der Grünen hingegen hat man immer das Gefühl, den ungeschriebenen Slogan „Wir sind gar nicht an allem schuld!“ als Subtext mitzulesen. Und bei Volt beschränkt man sich auf schlumpfige Schlachtrufe wie „Sei kein Arschloch!“ oder „Trau dich, Europa!“ (Ich dachte zuerst, es wäre schon wieder Hochzeitsmesse.)
Spannender und kreativer geht es da bei den Kleinst- und Neu-Parteien zu, die sich heuer feilbieten! Da wäre z.B. die Meditations-Partei „Menschliche Welt“, die den Klimawandel für Propaganda hält, aber Yoga für den Weltfrieden mit Querdenkern und Reichsbürgern anbietet.
Wer es wissenschaftlicher mag, findet vielleicht bei der „Partei Für Schulmedizinische Verjüngungsforschung“ sein Heil. Die fordern eine „schnellere Entwicklung von Medizin, mit der Menschen tausende Jahre gesund leben können.“ Als großer Fan von Arthouse-Gruselfilmen war ich begeistert von deren Werbespot: Eine schwarzweiße Ingmar-Bergman-Hommage, in der ein Arzt den Sensenmann verprügelt, würgt und schließlich brutal mit einem Holzscheit erschlägt.
Spannend auch die Kampagne der „Partei Der Vernunft“: Die stellen ihre Werbung auf Erotikseiten im Internet und verschenkten für Screenshots davon auch noch flaschenweise Schnaps. Ansonsten muss man über die PDF eigentlich nur wissen, dass sie als Reaktion auf eine Kolumne in „Focus Money“ gegründet wurde. Was ihre Zukunft betrifft, gehe ich davon aus, dass der Markt das schon regelt.
Alkohol fließt auch im zauberhaften Reklamefilm der „Partei des Fortschritts“, in dem eine Gruppe von Männern, die in einer Kneipe Bier trinken, und eine Gruppe von jungen Frauen, die auf der Straße Bier trinken, verblüfft feststellen, dass sie alle die PDF wählen müssen. Zum krönenden Abschluss wird dann noch eingeblendet: „Suche nach uns auf dem Wahlzettel! (Wir stehen ganz unten …)“
Aber auch für Nichtsäufer:innen ist die Auswahl schier unendlich: Ob homophobe Christen (Bündnis C), homophobe Muslime (BIG), antisemitische Rechte (dieBasis), antisemitische Linke (Mera25) – da sollte doch für jede:n was dabei sein!
Und so schließe ich mit einer sehr persönlichen Bitte: Geht wählen am 09. Juni! Wer weiß, welche Vollidiot:innen uns sonst regieren?
Arnd Rühlmann