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Mein Freund der Baum: Gedanken im Wahlkampf-Schilderwald (Kolumne FN November 2023)

Kolumne "Das letzte Wort"
Arnd Rühlmann

Der Herbst legt sich über das Frankenland. Die Tage werden wieder merklich kürzer, das Laub verfärbt sich langsam von einem satten Grün in einen bräunlichen Orangeton und in den Straßen hängen triste Wahlkampfplakate. Es ist also unmöglich, einkaufen zu gehen, ohne dabei alle paar Meter in die inhaltsleeren Augen von Melanie Huml oder diversen Söders zu starren. Auf Aussagen scheinen die Werbeagenturen in diesem Jahr verzichtet zu haben, was den langgehegten Verdacht bestätigt, dass es den Kandidat:innen mittlerweile um gar nichts mehr geht außer gewählt zu werden.
Vielleicht fallen deshalb die Parteireklamen der Grünen besonders unangenehm auf:
Da blicken besonders niedliche Grundschüler:innen mit großen, traurigen Augen in die Kamera und flehen: „Oma, bitte wähl für mich!“ Das erinnert mich unwillkürlich an die Kunstdrucke von weinenden Kindern, die in den Achtzigern in vielen Hausfluren hingen, was ich schon damals verstörend fand. Jedenfalls kann ich nicht daran vorbeilaufen ohne mich kurz vor Fremdscham zu schütteln. Vor meinem geistigen Auge läuft dann jedesmal der TikTok-Clip ab, in dem Tagesschau-Legende Susanne Daubner das Jugendwort des Jahres 2021 „cringe“ verkündet.

Alptraum erregend auch die Großplakate der SPD, auf denen ein janusköpfiger Herr von Brunn sein halbes Gesicht (und das von irgendwelchen anderen Personen, mal mit Bart, mal ohne) zeigt. Keine Ahnung, was das über seine politischen Ziele aussagen soll, aber als Besetzung für das Phantom der Oper wäre der Mann bestimmt ein Volltreffer.

Und auch wenn ich zugeben muss, dass ich schon lange nicht mehr so laut gelacht habe, wie als ich den Slogan „Am besten spart Politik bei sich selbst“ von ausgerechnet der FDP gelesen habe, so packt mich doch jedesmal die Wut angesichts dieses Wahlkampf-Schilderwaldes. Was für eine ungeheuerliche Papierverschwendung! „Wie könnt Ihr nur!“ möchte man die Volksvertretungs-Darsteller.innen anbrüllen. „Dafür sind Bäume gestorben!“

Die Bamberger:innen sind nämlich auf das Thema Abholzung gerade nicht besonders gut zu sprechen und proben den Aufstand gegen den Stadtratsbeschluss, die alten Kastanien am Michelsberg zu fällen. (Von denen anscheinend niemand genau weiß, wie viele es sind – jedenfalls liest man in der örtlichen Presse Angaben von 8 bis 19 Bäumen. Gehen Sie doch mal selber nachzählen!)
Und so kämpfen Bürgerverein, Denkmal- und Umweltschützer – und sogar der SPD-Ortsverein Bamberg-Berg –  für das Stadtklima und die Erhaltung der historischen Struktur des Welterbes und planen für Anfang Oktober sogar das erste „Kastanienfest“ auf dem Michelsberg.
Ob diese Party-Offensive den Kahlschlag verhindern kann, bleibt abzuwarten. Aber für einen ganz kurzen Moment kam mir der Gedanke, ob es nicht viel sinnvoller wäre, Werbung für Bäume auf Politiker:innen zu drucken.

Arnd Rühlmann

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