Ein trüber Montagspätnachmittag im Dezember. In den Nachrichten nur Blutvergießen und Budgetkürzungen, im Briefkasten nur Rechnungen, im Terminkalender nur Stress. Und ich saß im Stadtbus fest.
Da ein wütender Traktorenkorso durch die Innenstadt tuckerte (allerdings ohne festliche Beleuchtung), hatte die Fahrt vom Bahnhof bis zur Haltestelle Luitpoldstraße knapp 30 Minuten gedauert. Aussteigen und Laufen wäre deutlich schneller gewesen, doch das Wetter war eklig, meine Verabredung würde ich eh nicht mehr einhalten können, und ich war ohnehin hochgradig schlecht gelaunt.
So hockte ich griesgrämig da, wechselte gelegentlich solidarisch genervte Blicke mit anderen Insassen und glotzte ansonsten gelangweilt auf den kleinen Bildschirm mit den weihnachtlichen Werbeanzeigen.
Da riss eine Kurzmeldung mich aus meiner Lethargie: „Im Dezember tritt ein neuer Fahrplan in Kraft. Weil der Verkehrsbetrieb der Stadtwerke zu einem harten Sparkurs gezwungen ist, gibt es auf fast allen Linien Änderungen. Zwei Buslinien entfallen sogar komplett.“
„Super!“, schnaubte ich höhnisch. „Das ist ja mal genau das richtige Zeichen in Zeiten von Verkehrswende und Klimazielverfehlung! Endlich weniger Nahverkehr!“ Tiefe Zornesfalten gruben sich in meine Stirn und mein Stimmungsbarometer sank unter den Gefrierpunkt. Da geschah ein kleines Wunder: Die junge Frau, die in der Reihe neben mir saß, musste niesen.
Es war der möglicherweise entzückendste Nieser, den ich in meinem Leben je gehört hatte: sehr fein, fast filigran, nicht laut aber trotzdem sehr präsent. Zwei kurz aufeinanderfolgende Töne in einer hohen, leicht rostigen Frequenz, einer vorwärts, einer rückwärts, wie eine winzige Clownshupe. Dabei zuckte die zierliche Frau energisch zusammen, es wirkte, als sei dieses putzige Geräusch mit einem großen Kraftaufwand verbunden, als würde ihr gesamter kleiner Körper zusammengepresst, um diesen einzigartigen, unvorstellbar drolligen Doppelton zu produzieren.
Unwillkürlich entknotete sich meine Stirn und es zog meine Mundwinkel nach oben, und als ein paar Sekunden später ein zweiter, ebenso niedlicher Nieser folgte, war meine schlechte Laune wie weggeblasen. Hätte die Dame ein drittes Mal geniest, hätte ich ihr vielleicht spontan einen Heiratsantrag gemacht.
Warum ich hier davon berichte? Weil ich irgendwie das Gefühl habe, dass das kommende Jahr genau so sein wird wie dieser Nachmittag: Es geht nicht voran, alles ist Mist und die Nachrichten machen uns wütend und hoffnungslos. – Machen wir uns nichts vor: Wir haben uns jetzt so oft mit „Nächstes Jahr kann es ja nur besser werden!“ vertröstet, irgendwann glaubt man es halt selbst nicht mehr.
Aber wenn wir Glück haben, dann begegnen wir im Stadtbus vielleicht einem Menschen, der für uns niest, und für diesen kurzen Augenblick ist das Leben ganz zauberhaft.
Arnd Rühlmann