Anzeige

Das Schokolade-Paradox: Fastenzeit (Kolumne FN-Ausgabe März 2024)

Kolumne "Das letzte Wort"
Arnd Rühlmann

Einer der Vorteile, Künstler zu sein, ist beispielsweise, dass man auch ohne Alibikind jederzeit ins Kindertheater gehen kann; vorgeblich, weil man ja auch mal sehen muss, was die Kolleg:innen so machen, und in Wirklichkeit, weil es einfach Spaß macht.

So saß ich kürzlich mal wieder voll infantiler Vorfreude im Zuschauerraum bei „Chapeau Claque“ – ganz brav hinten in der letzten Reihe, um keinem der Dreikäsehochs die Sicht zu versperren.
Neben mir nahm eine junge Frau Platz, auf ihrem Schoß thronte ihr 4-5jähriger Nachwuchs und starrte mich unverwandt an. „Schau mal, da steht ein Häuschen auf der Bühne“, säuselte die Mutti. „Und was ist das da hinten? Guck doch mal!“

„Nö“, erwiderte ihre angesprochene Lendenfrucht, „ich will lieber den dicken Mann anschauen.“
Verlegen brach ich eine Rippe von meiner mitgebrachten Schokolade ab und stopfte sie mir in den Mund. Das Kind neben mir bekam glänzende Augen. „Möchtest du was abhaben?“, fragte ich mit halbherziger Höflichkeit.

Doch bevor der Knirps antworten konnte, mischte sich seine Erzeugerin ein und entgegnete: „Nein danke, wir haben ausgemacht, dass wir in der Fastenzeit auf Süßes verzichten wollen. Mein Mann und ich finden ja …“

Die Art und Weise, wie ihr Sprössling genervt seine Augen verdrehte, während die Mutter redete, war mir auf Anhieb sympathisch. Bedauernd zuckte ich mit den Achseln und biss ein besonders großes Stück von der Tafel ab.

„Naja“, tröstete ich den Kleinen mit vollem Mund, “das hat ja auch sein Gutes. Wenn man sich Sachen eine Zeitlang verkneifen muss, kann man sie später dann wieder umso mehr genießen.
Unser neuer Erzbischof zum Beispiel findet die Fastenzeit auch prima. Da geht es darum, ‚den Geist von belastenden Dingen zu befreien, die einen von den wesentlichen Fragen des Lebens ablenken‘ hat er gesagt.

Nur worauf er selbst beim Fasten verzichtet, das wollte er nicht verraten, aber das kennt man ja seit Jahrhunderten von den Kirchenoberen. Dabei gilt der eigentlich als sehr progressiv. Er findet zum Beispiel auch, dass man gleichgeschlechtliche Paare nicht diskriminieren darf, solange man sie nicht so wertschätzt wie heterosexuelle Ehepaare … Naja, man muss vielleicht katholisch sein, um da das Paradox nicht zu erkennen.“

Was ist denn ein ‚Padox‘?“, fragte der Junge verunsichert.
„Ach, nicht wichtig“, bemühte ich mich, schnell auf das Ausgangsthema zurückzukommen. „Und worauf würdest du denn am liebsten verzichten wollen in der Fastenzeit?“
„Rosenkohl und Schnaps!“, kam wie aus der Pistole geschossen die Antwort.
„Guter Plan, ich glaub, das mache ich auch“, konnte ich gerade noch flüstern. Dann verdunkelte sich der Zuschauerraum und die Anfangsmusik von „Katze mit Hut“ tönte aus den Lautsprecherboxen. Und selbstverständlich hab ich dem Kind heimlich ein Stück Schokolade rübergeschoben.

Arnd Rühlmann

Zurück zum Seitenanfang