Vor 300 Jahren wurde das barocke Wasserschloss Villa Concordia am Ufer der Regnitz erbaut. Seit 25 Jahren beherbergt es das Internationale Künstlerhaus Villa Concordia. Jedes Jahr wohnen und arbeiten hier internationale und deutsche Stipendiatinnen und Stipendiaten aus den Bereichen Literatur, bildende Kunst und Musik. Sie entwickeln gemeinsame Projekte, tauschen sich aus und präsentieren ihre Arbeiten. Rund 80 Veranstaltungen organisiert das Künstlerhaus pro Jahr. Die Fränkische Nacht sprach mit Direktorin Nora-Eugenie Gomringer über das 25-jährige Jubiläum, künstlerische Entwicklungen, die besten Veranstaltungen für schüchterne Menschen und warum sie sich anfangs vor dem Schloss gefürchtet hatte.
Herzlichen Glückwunsch, Sie feiern in diesem Jahr den 25. Geburtstag des Internationalen Künstlerhaus Villa Concordia. Das offizielle Gründungsdatum war der 20. Oktober 1997. Damals waren Sie 17 Jahre alt und Schülerin. 13 Jahre später haben Sie als Direktorin die Leitung der Villa Concordia übernommen, als jüngste Leiterin einer staatlichen Kultureinrichtung in Bayern. Können Sie sich noch daran erinnern, wann Sie zum ersten Mal von der Villa Concordia gehört haben?
Nora-Eugenie Gomringer: Danke für die Glückwünsche! Ich glaube, ich war 22, als mich Dr. Goldmann und Frau Weiß baten, eine Übersetzung aus dem Englischen für das Künstlerhaus anzufertigen. Da wusste ich dann, dass es existiert.
Wenn Sie auf die vergangenen zwölf Jahre als Direktorin der Villa Concordia zurückblicken. Welches waren die schönsten Momente für Sie?
Nora-Eugenie Gomringer: Ich stehe oft schmunzelnd da und bin stolz auf Haus, Mitarbeiter, abenteuerlustiges Publikum. Es ist halt auch ein ungewöhnlicher Betrieb. Ich mag, dass Stipendiaten mit ihren Familien einziehen und es dadurch nochmal ganz andere Aufgaben gibt. Mir wird immer in Erinnerung bleiben, wie ich meine Gastprofessur 2019 in Ohio beendete, zurück in den Dienst kam und Alexander Deubl eine atemberaubende Ausstellung aufgebaut hatte. Das war wie ein riesiges Willkommensgeschenk. Ich setzte mich nachts davor im ganz stillen Haus und war glücklich.
Und welches waren die größten Herausforderungen, die Sie erlebt haben?
Nora-Eugenie Gomringer: Erkrankte Stipendiaten, Lebenskrisen, die man ein bisschen mitbegleitete. Zähes Hinarbeiten auf eine weitere Stelle seit Jahren. Nöte des Herzens, der Seele und der Geldbeutel direkt und ungefiltert mitzuerleben. Und ein paar Mal war es kompliziert, die Interessen des Künstlers mit denen des Künstlerhauses zu koordinieren. Da musste extra viel im Gespräch geklärt und aufeinander zugegangen werden.
Die Villa Concordia dient „der Förderung und Pflege der Künste und der Vertiefung der kulturellen Beziehungen des Freistaates Bayern zu anderen Staaten“, wie es in Paragraf 2 der Statuten heißt. Das klingt recht staatstragend und steif. Wie läuft denn so der kulturelle Alltag in der Villa Concordia ab? Lässt es sich mit einer großen Familie vergleichen?
Nora-Eugenie Gomringer: Darf ich an dieser Stelle generell korrigieren? Nicht die Immobilie „Villa Concordia“, das Künstlerhaus hat diese Aufgaben. Die Abläufe sind getrennt: Es gibt die Verwaltung und die Haushalte der Stipendiaten. Wenn Veranstaltungen geplant sind, die Abendempfänge sind, müssen wir wenigen im Büro gut zusammenhalten. Manchmal bieten wir Ausflüge, Wanderungen, Abendessen für die Stipendiaten an und auch das muss natürlich gut vorher kommuniziert und geplant werden. Der uns unterstützende Verein ist sehr rege und bietet zusätzlich große Hilfestellungen an. Sie haben auch den Flügel geschenkt und viele Fahrräder. Braucht man ja, um ein Bamberger werden zu können.
Man sagt Künstlerinnen und Künstlern nach, dass sie mitunter doch recht eigenwillige und starke Persönlichkeiten besitzen. Benötigt man generell ein gewisses diplomatisches Geschick im Umgang mit den Stipendiatinnen und Stipendiaten?
Nora-Eugenie Gomringer: Ja. Wäre das Haus voller Astrophysiker oder Homöopathen wäre das aber sicher genauso.
Sie haben weit über 100 Stipendiatinnen und Stipendiaten aus den Bereichen bildender Kunst, Literatur und Musik innerhalb der vergangenen zwölf Jahre erlebt und Hunderte von Veranstaltungen organisiert. Inwiefern hat sich Kunst in diesem Zeitraum verändert?
Nora-Eugenie Gomringer: Thematisch ist vieles mit der Frage der Nachhaltigkeit, nach Recycling, Trash, der sozialen Plastik beschäftigt. Mensch, Natur, Gesellschaft ohne „Öko-Beigeschmack“, wie man ihn aus den 70ern, 80ern kannte. High-Tech-Eco… so würd ich viele der Grundfragestellungen der Kunst nennen. Medienvielfalt ist wichtig, die Frage nach Inklusion und Machbarkeit schwingt immer mit. Viel Message, viel Absicht, wenig Humor. Hier und da etwas Lakonie und sehr oft: große Raffinesse. Wer heute von einer Kunstakademie kommt, ist sehr, sehr gut ausgebildet.
Hat der permanente Umgang mit Kunst in Ihrer Rolle als Direktorin auch Ihr eigenes Kunstverständnis beeinflusst?
Nora-Eugenie Gomringer: Ja. In die Neue Musik hab ich mich mehr und mehr mit Begeisterung eingehört und kann nur sagen, dass es bei ihr immens wichtig ist, direkt im Raum zu sein und eben nicht „online“. Insofern braucht diese hoch-künstliche Erfahrung absolute Natürlichkeit. Ich sammle Kunst im kleinen Stil und habe hier und da gute Gespräche mit Stipendiaten über die Entwicklung meiner Sammlung. Ich kann im Gegenzug oft sehr verblüffen mit den oft ungeahnten Anwendungsmöglichkeiten der Literatur.
Die Stipendiatinnen und Stipendiaten sind in Wohnungen im Neuen Ebracher Hof am Unteren Kaulberg und in der Villa Concordia untergebracht. Insgesamt gibt es zwölf Wohnungen und acht Ateliers, in denen an bildender Kunst, Literatur und Musik gearbeitet werden kann. Lässt sich sagen, welcher dieser beiden Orte für den kreativen Schaffensprozess besser geeignet ist? Gibt es da ein Feedback?
Nora-Eugenie Gomringer: Beide Häuser haben ihren eigenen Charme. Manchem taugt der ganze Stuck nicht, der will „in modern“ wohnen. Und mancher findet modern zu puristisch… Selten gibt’s totale Fehlzuordnungen.
Sie feiern das 25-jährige Bestehen mit einer Vielzahl von Veranstaltungen in diesem und im kommenden Jahr. Am Freitag, 11. November, um 19 Uhr findet das Schamrock-Festival der Dichterinnen in der Villa Concordia statt und am Dienstag, 6. Dezember im ETA Hoffmann Theater die zwölfte „Villa Wild“-Show, bei der Sie zusammen mit Martin Beyer u. a. Regisseurin und Schriftstellerin Doris Dörrie als Gast begrüßen. Was sind für Sie persönlich die Highlights zum 25-jährigen Jubiläum?
Nora-Eugenie Gomringer: Der Besuch von Staatsminister Blume im Juni hat uns bestätigt und geehrt. Der kurze animierte Jubiläumsfilm von Philipp Seefeldt, den wir uns geleistet haben auf unserem Youtube Kanal – den spricht Maren Kroymann für uns und in der englischen Version Scott Tyrell. Dann die zwei Dokus, die gerade am Entstehen sind über das Glashaus im Garten von der Bambergerin Johanna Seggelke und den Portraitfilm über unser ukrainisches Sonderstipendium von Michael und Andreea Wende. Außerdem war es genau richtig, im Sommer alles in den Garten zu verlegen: Große schöne Bühne von Hannig Info- und Datentechnik und coole Stühle. Wir freuen uns, den Austausch mit dem Studienzentrum Venedig durchgeführt zu haben. Wir werden 25, die 50. Wir haben Stipendiaten der Villa dort die Möglichkeit einräumen können, je eine Woche dort wahrnehmen zu können. Und venezianische Stipendiaten kamen zu uns. Rege war’s und eine gute Verbindung: Vom Canal Grande zur Regnitz und retour. Und natürlich war 2022, unsere erste Hälfte des Feierjahres – von Mitte 2022 bis Mitte 2023 – gezeichnet vom Krieg in der Ukraine. Durch das Sonderstipendium Ukraine konnten wir 12 ukrainische Künstlerinnen und Künstler wenigstens 5 Monate finanziell unterstützen. Sie schrieben uns, dass diese Hilfe für sie sehr wichtig gewesen sei. Sehr.
Vor genau 300 Jahren wurde die Villa Concordia fertiggestellt. Der Bamberger Hofrat Johann Ignaz Tobias Böttinger hatte das barocke Wasserschloss, das sich am Wiener Stil orientiert, in Auftrag gegeben. Sie selbst wohnen in der Villa Concordia. Was sind denn die Vorteile, in einem Schloss zu wohnen und welches sind die Nachteile?
Nora-Eugenie Gomringer: Man ist immer diametral weit vom Garten entfernt und geht deshalb fast nie dort lesen oder so. Die Decken sind hoch, ich brauche so Teleskopstangen, um der Spinnennetze in luftigen Höhen Herr zu werden und es ist bitterkalt im Winter. Die Wohnung bietet meinen Büchern und Klamotten Platz und ist mir ein Zuhause geworden.
Laut Statuten soll die Villa Concordia „durch eigene Veranstaltungen einen Beitrag zum kulturellen Leben der Stadt Bamberg und der Region leisten“. Wie gut ist das bislang gelungen und gibt es noch Verbesserungsmöglichkeiten bzw. ist es schwierig, die Bamberger in die Villa Concordia zu locken?
Nora-Eugenie Gomringer: Nach Corona ist es ganz einfach. Immer full house, viele neue Leute und auch mal Studierende. Gerade beobachten wir nur und ziehen unsere Schlüsse.
In Zeiten knapper werdender öffentlicher Finanzmittel wird gerne auch die Kultur als Sparmöglichkeit gesehen. Welche gesellschaftliche Bedeutung hat Kultur für Sie?
Nora-Eugenie Gomringer: Da sie mein Lebensinhalt ist, sowohl persönlich inniglich, als auch ökonomisch, bin ich von ihr und ihren Systemen abhängig. Über die Jahre künstlerischer Karrieren gibt es Phasen der Frustration, der Umorientierung und der Egalität genauso wie Träume und Ehrgeiz und Zweifel. Und das bei sehr seltener Möglichkeit, Erspartes anzulegen. Man muss so ein Leben ertragen wollen. Und erkennen, wer einen mitträgt. Und warum.
Die Stipendiatinnen und Stipendiaten der Villa Concordia werden von einem Kuratorium ausgewählt. Somit handelt es sich oft um etablierte und renommierte Künstlerinnen und Künstler. Erzeugt das nicht auch eine gewisse Ehrfurcht und Scheu beim Publikum mit den Stipendiaten ins Gespräch zu kommen?
Nora-Eugenie Gomringer: Scheu und Ehrfurcht sind doch in Bamberg eher selten.
Wenn jemand bislang noch nie bei einer Veranstaltung der Villa Concordia gewesen ist, gibt es Veranstaltungen, die Sie besonders zum „Einstieg“ empfehlen können?
Nora-Eugenie Gomringer: Die große Kennenlernrunde Mitte Mai setzt oft den Ton für das ganze Jahr. Wenn man echt etwas schüchtern ist, sind unsere Ausstellungseröffnungen gut. Da ist viel los und man fühlt sich nicht so beobachtet. In den Konzerten wird konzentriert gelauscht. Die Lesungen – ach, altbewährtes Format, das kennt man oder man findet es doof.
Was macht Ihrer Meinung nach gute Kunst aus?
Nora-Eugenie Gomringer: Das ist eine sehr altmodische Kategorie. Ich frag mich immer, ob etwas Relevanz und Eleganz hat. Selten, dass ich ebensolches dann nicht mag.
Sie selbst sind als Künstlerin tätig und wurden vielfach ausgezeichnet. Gab es Momente, in denen Sie an Ihrer Entscheidung, Direktorin der Villa Concordia geworden zu sein, gezweifelt haben?
Nora-Eugenie Gomringer: Nein, weil die beiden Berufe ja nicht exklusiv sind. Ich darf beides leben. Manchmal allerdings hab ich eine sehr aktive Schere im Kopf, weil die Leute schon oft „Villa“ und „Nora“ als eines betrachten und dann auch Befremdung äußern, wenn ihnen etwas an „Nora“ nicht passt oder sie finden, dass es sich nicht „schickt“. Kunstbetrachtung unterliegt noch immer formaler Strenge, die manchmal lähmt und manchmal verblüfft, weil auch in ihr einiges wachsen kann.
Sie haben zum 25-jährigen Bestehen der Villa Concordia einen Trickfilm (https://youtu.be/x4CRTH5VfTk) produzieren lassen. Denken Sie, dass sich die Villa Concordia in Zukunft auch stärker für digitale Kunstformen öffnen muss? Bislang kommen die Stipendiaten ja aus den Bereichen bildende Kunst, Musik und Literatur.
Nora-Eugenie Gomringer: Wir sehen anders und wir sehen gleichzeitig auch viel zu viel, werden also selektiver – schon zum Selbstschutz. Da in diesen sich verändernden Sehgewohnheiten eine kleine Nische zu erobern als Künstlerhaus und das spendieren zu können, was wir wirklich haben, nämlich eine persönliche Perspektive auf Kunst und Künstler, das addiert etwas wertvolles, finden wir.
Sie leiten die Villa Concordia mittlerweile dauerhaft. Welche Zielsetzungen haben Sie sich für die Zukunft vorgenommen?
Nora-Eugenie Gomringer: Die Jahrgänge im Einklang mit der Verwaltung und mit Gewinn für Stipendiaten und Publikum bewusst durch ihre Bamberg-Zeit zu begleiten. Eine Social Media-Stelle dem Ministerium abzugewinnen, die Häuser in gutem Zustand zu erhalten. Mir läge viel daran, den Ausstellungsbereich umzugestalten und irgendwann ein neues Gartenhaus, das ein Kunstwerk ist, zu installieren, wenn wir Roland Schöns „Orangerie Nature“ nach Bayreuth verabschiedet haben werden. Flexibel und staunend zu bleiben, körperlich agil und mental stark.
Was wünschen Sie sich für die Villa Concordia und für Ihre weitere Tätigkeit als Direktorin?
Nora-Eugenie Gomringer: Für das Künstlerhaus wünsche ich mir das Wohlwollen des Ministeriums und das Festhalten am Verständnis für die Wichtigkeit künstlerischer Arbeit, damit noch viele Jahrgänge von Künstlerinnen und Künstlern mit Aufenthaltsstipendien ausgezeichnet werden können. Für mich persönlich wünsche ich mir weiterhin auf die Neuigkeiten ihrer Direktorin aufgeschlossen reagierende Mitarbeiter.
Wo sehen Sie die Villa Concordia in 25 Jahren?
Nora-Eugenie Gomringer: Sie wird sich nicht verrücken lassen, aber vielleicht schwebt sie ein bisschen – mehr.
Zum Abschluss noch eine skurrile Frage: Man munkelt, dass es im E.T.A. Hoffmann-Haus mal gespukt haben soll. Wie sieht es denn im Wasserschloss Concordia aus?
Nora-Eugenie Gomringer: Gar nicht so skurril. Ich bin in einem arg bespukten Bauernhaus im Oberfränkischen aufgewachsen und hatte mich erst gefürchtet in der Concordia. Aber siehe da: Beste vibes!
Das Interview führte Frank Gundermann
Weitere Infos zu den Veranstaltungen des Internationalen Künstlerhauses Villa Concordia gibt es unter www.villa-concordia.de.