Sie müssen arbeiten, damit andere feiern können: Kellner, Köchinnen, Bierzapfer, Grillmeister. Händeringend werden sie nach Corona gesucht. Sag mir, wo die guten Geister sind? Wo sind sie geblieben? Es gibt keine Kneipe, kein Gasthaus, keine Hausbrauerei und keine Veranstaltung, wo die fleißigen Heinzelmännchen und Heinzelfrauen der Party-, Genuss- und Freizeitfront nicht vermisst werden. Beim 11. Mittelalter-Spektakel vom 2. bis 3. September auf Gut Leimershof wage ich, der Kopfmensch, den Service-Selbstversuch. Nach 16 Stunden an der Essenausgabe war ich vor allem eins: ganz schön platt. Aber auch ganz schön stolz. Wie auch die anderen rund 60 Helferinnen und Helfer. Wir haben die Veranstaltung gerockt.
Kein Spektakel ohne Vorbesprechung und Einweisung. Schon am Freitagabend bittet seine „Lordschaft“ Helmut zur Tafelrunde. Bei LSD-Bier, einem Gläschen Sekt und einem hervorragenden Gulasch nach geheimem Familienrezept erläutert der kreative „Silberrücken“ den Marschplan für die zwei Tage. Routiniert. Abgeklärt. Mit der Erfahrung von vielen Jahren in der Gastronomie. Und mit dem Wissen, dass immer etwas schief geht, aber dass es auch immer gerade gebogen wird. Ein Stromaggregat fällt aus? Der Hausmeister und sein Sohn Christian kümmern sich drum. Nach wenigen Minuten leuchtet es schon wieder.
Am Samstag trudeln die Helferinnen und Helfer um 10.00 Uhr ein. „Helfer. Wichtig. Lächeln.“, steht auf manchem T-Shirt. Ich bin bei der Essensausgabe eingeteilt. Gehofft hatte ich auf einen Platz hinter der Theke. Chef Helmut flachst: „So nahe am Alkohol, das ist weder gut für mich noch für dich!“ Mit meinen Kollegen – Lukas, Olli, Ronald, Markus, Peter, Michael, Manuel und wie alle heißen mögen – spreche ich mich ab. Thomas macht den Grillmeister. Kiloweise legt er Bratwürste, Steaks und Zwiebeln auf. Der Rauch lässt seine Augen tränen. Auf seiner Stirn bilden sich erste Schweißperlen. Ronaldo, der freundliche Grillspezialistist aus Paraguay („Wir liegen nicht am Meer, dafür aber mitten in Südamerika!“) bestreicht die 25 Zentimeter langen Spare Ribs mit seiner Spezialsoße und lässt sie in einem riesigen Smoker heranreifen.
Wir anderen springen. Die ersten Ritter, Burgfrauen, Zauberer, Kräuterweiblein, Wikinger und die Männer von der freiwilligen Feuerwehr haben Hunger. Auch dem normalen Besuchervolk knurrt der Magen. Essenswünsche annehmen, Bons kassieren, Bratwürste und Steaks in die aufgeschnittenen Brötchen stecken, Nudeln mit Käse-Sahne-Soße übergießen, Gulasch aus dem Topf fischen. Für die Fraktion Vegetarisch gibt es Kartoffelsuppe. Zwischen Bestellung und Essen liegen nur ein, zwei Meter. Beim Blick auf meine Fitnessuhr komme ich dennoch auf rund drei Kilometer. Und der Arbeitstag ist noch nicht vorbei. Ich arbeite schnell, meine ich zumindest. Ein charmanter, junger Österreicher ist aber doppelt so schnell. Wie ein verhaltensgestörtes Kaninchen – in der Zoologie bezeichnete man das als „Pacing“ – wetzt er hin und her. Sein Gerenne ist aber nicht planlos, sondern zielgerichtet, an unserer Essenstheke bilden sich keine lange Schlangen.
Ein, zwei Minuten mal kein Andrang. Zeit für ein Schluck kaltes Mineralwasser. Zum Essen komme ich nicht. Das lange, stundenlange Stehen führt zum Zwicken in meinem alten Rücken. In die Waden schleicht sich klammheimlich ein Muskelkater. Ich setze mich, strecke die Beine aus. Grillkollege Thomas, in etwa in meinem Alter, macht es genauso. Helmut kommt vorbei. „Alles klar?“ – „Ja, alles klar!“
Mit zunehmender Zeit werden wir immer routinierter. Ein Rad greift in das andere. Wir drehen schon lange nicht mehr am Rad. Von weitem können wir schon an der Farbe der Bons erkennen, was die Menschen wollen. Im Moment noch keine Bratwurst fertig? Egal. Wir ziehen die Leute vor, die Spare Ribs oder Zwiebelsteaks wollen. Wir bekommen die Kundschaft immer mehr in den Griff. Mit freundlichen Worte, kleinen Witzen, Augenzwinkern. Spaß vor und hinter dem Tresen. Das Essen wird gelobt. „Super Gulasch“, „So gute Spare Ribs haben wir lange nicht gegessen“. Einem Gast sind die Bratwürste nicht dunkel genug. Also noch mal auf den Grill. Null Problemo.
Gegen Abend beginnt der Abverkauf. Wir signalisieren der Bon-Ausgabe, „was alle“ ist. Die letzten Bratwürste, Gulaschreste, zwei Liter Kartoffelsuppe und noch 16 Spare Ribs gegen an die Frau und den Mann. Lukas, der Sohn von Thomas, holt uns ein kaltes Bier. „Plopp“, sagt der aufspringende Verschluss. Ich stoße mit den Kollegen an, zische den ersten Schluck hinein. Selten hat ein Bier so gut geschmeckt.
Wir setzen uns mit Helmut, dem ungekrönten König von Gut Leimershof, an einen langen Tisch. Der Mond geht auf. Es wird gelacht. Helmut „drohen“ wir mit der Gründung einer Gewerkschaft. Das Original quittiert es mit breiten Grinsen. „Ich seid ein super Team! Das Schönste an dem Fest ist, dass wir eine große Familie sind.“ Er prostet uns mit einem undefinierbaren Mittelaltergetränk zu. Sein Sohn Christian setzt sich zu uns. Der Juniorchef hat inzwischen fast 48 000 Schritte auf seiner Uhr. Er klopft den Mitarbeitern auf die Schultern, besorgt noch etwas zu trinken. Händler, Ritter und Wikinger bauen ab. Aus dem Boxen dröhnt Dire Straits mit „Money for Nothing“. Innerlich muss ich lächeln. Das war sicherlich nicht die Parole für die zwei Tage. Zuhause erreicht mich noch eine Whatsapp von Elisabeth Kann, der Frau von Helmut. Sie bedankt sich bei allen Helfern: „Wir wissen, dass das alles andere als selbstverständlich ist und schätzen eure Hilfe umso mehr!“ Helfer. Wichtig. Lächeln.
Thomas Pregl