Als im Osten der Türkei die Erde fürchterlich bebte und ganze Landstriche verwüstete, lag der Bamberger Lyriker und Journalist Nevfel Cumart mit hohem Fieber im Bett. Im Rückblick gesehen war die Grippe wie eine Gnade für ihn, sagt er. Körperlich geschwächt und in sedierter Stimmung nahm er die Erdbeben-Katastrophe abgemildert und – im wahrsten Sinne des Wortes – nur aus der Ferne wahr. Bis dann die Hiobsbotschaften nach und nach bei ihm eintrafen und auch die Tragweite der familiären Tragödie deutlich wurde: 14 Verwandte von ihm sind gestorben! Angesichts des tausendfachen Leids in der Region hat er nun eine direkte und unorthodoxe Nothilfe ins Leben gerufen. Die FN traf auf einen engagierten, aber auch zutiefst traurigen Dichter und Helfer.
FN: Kann man überhaupt erfassen, was passiert ist?
Nevfel Cumart: Das alles ist für die Menschen hier kaum zu begreifen. Das Erdbeben erstreckte sich über zehn Provinzen. Rund 20 Millionen Menschen sind von dieser Katastrophe alleine in der Türkei betroffen. Nur ein Beispiel: Schließen Sie die Augen – und stellen sich jetzt vor, dass es Nürnberg nicht mehr gibt! Das ist die Situation in der Stadt Antakya, die bislang rund 450 000 Einwohner hatte und nun zu 85 Prozent zerstört ist.
FN: Sie haben die „Erdbeben-Nothilfe Adana“ ins Leben gerufen…
Ich wollte in das Katastrophengebiet fliegen, sobald ich gesund war, wollte nicht untätig sein und dort helfen. Aber meine Schwester und mein Neffe haben mir vehement davon abgeraten. Ich würde dort zusammenbrechen angesichts der Bilder der Verwüstung war ihre Befürchtung. Und sie trugen mir auf: „Versuche, von Bamberg aus zu helfen.“
FN: Telefonanbieter haben kostenlose Telefonate in die Türkei angeboten…
Das klappt recht gut. Auch mit Whatsapp-Anrufen. Ich telefoniere jeden Tag, besonders mit meiner Schwester. Mein Schwager liegt noch im Krankenhaus. Ihr kleines Häuschen in der Gasse steht noch. Aber in den drei Zimmern bei meiner Schwester schlafen 25 Personen, die alle kein Dach mehr über dem Kopf haben. Meine Schwester ist traumatisiert, so wie viele Überlebende auch! Sie hat Tage auf dem Friedhof erlebt mit 18 Beerdigungen.
FN: Wie funktioniert Ihre Hilfsaktion?
Ich habe ein Sonderkonto eingerichtet. Man kann dorthin überweisen. Ein Cousin in Hamburg hat die Möglichkeit, das Geld in türkischer Währung ohne jegliche Abzüge und Gebühren nach Adana zu transferieren. Dort kaufen die Helfer die dringend benötigten Hilfsgüter und fahren sie zu den Notleidenden.
FN: Was brauchen die Menschen vor Ort?
Sie brauchen schnelle und unbürokratische Hilfe. Wir liefern Decken, Essen, Trinkwasser, Öfen, Heizmaterial, Kleidung, Windeln, Babynahrung und einiges mehr. Es darf nicht sein, dass die Menschen das Erdbeben überleben und danach erfrieren oder verhungern.
FN: Warum haben Sie eine eigene Hilfsaktion gegründet?
Ich vertraue den Organisationen in der Türkei nicht zu 100 Prozent. Der türkische Rote Halbmond ist nicht nur mir etwas suspekt. Die großen deutschen Organisationen wie das Rote Kreuz arbeiten aber überwiegend mit dem türkischen Roten Halbmond zusammen. In Syrien ist es noch schlimmer. Da steht der Rote Halbmond unter direkter Kontrolle des Assad-Regimes. Hinzu kommt noch, dass die Hilfe in der Türkei leider nur selektiv erfolgt.
FN: Was heißt das konkret?
Die Hilfe geht nachweislich in erster Linie in die Städte und Orte, in der die Regierungspartei AKP die Bürgermeister stellt. Die Städte, in denen die Opposition an der Macht ist, gehen zumeist leer aus. Noch schlimmer ist es mit den Minderheiten wie den Kurden oder den Aleviten, die in der Region leben. Die haben total das Nachsehen.
FN: Präsident Erdogan hat aber doch schnelle Hilfe versprochen…
Die Realität sieht leider anders aus: Hilfe ist da, wo die Scheinwerfer und Fernsehkameras sind. Bei unserer Hilfsaktion kann jeder, der spendet und hilft, sicher sein, dass jeder einzelne Euro ohne jegliche Abzüge direkt den notleidenden Menschen in Adana und Hatay zugute kommt! Nicht ein Cent geht verloren!
FN: Kann man mit Ihnen persönlich Kontakt aufnehmen?
Ich gebe gerne Auskunft. Entweder telefonisch unter 0163-685 3434 oder auch per Mail: info@cumart.de
Das Interview führte Thomas Pregl
„Wer das Erdbeben überlebt hat, darf jetzt nicht sterben!“
Spendenkonto:
Nevfel Cumart
Commerzbank Bamberg
Stichwort „Erdbeben-Nothilfe Adana“
IBAN: DE30 7704 0080 0129 9163 00
BIC: COBADEFFXXX